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Das UN-Entwicklungsprogramm UNDP schlägt ein zeitlich befristetes Grundeinkommen (TBI) vor Bonn August 2020. Von Dagmar Patanoga und Werner Rätz

In Deutschland und einigen anderen Ländern erreicht die schon viele Jahre geführte kontroverse Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen immer wieder einmal auch die Mainstreammedien. Als Hilfsmittel für besonders von der Coronakrise Betroffene hat der Vorschlag noch einmal zusätzlichen Auftrieb erhalten. Was wenig bekannt ist, ist die Tatsache, dass auch in einer ganzen Reihe von arm gemachten Ländern des Südens eine intensive Auseinandersetzung mit der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens stattfindet.

Weltweit hat die Pandemie die Ungleichheit der Lebensverhältnisse verschärft. Bestimmte Ausbrüche (Fleischindustrie, Landwirtschaft) haben auch die Verteilungsprobleme in Deutschland ins Rampenlicht gerückt. Niedriglohnbezieher*innen tragen oft ein höheres Ansteckungsrisiko, weil sie in beengten Verhältnissen leben, bei der Arbeit viel Kontakt zu anderen Menschen haben und sich nicht ins sichere Homeoffice zurückziehen können. Zudem verschärft die Coronakrise prekäre Lebenslagen, etwa wenn arme oder von Armut bedrohte Menschen durch Jobverlust Einkommenseinbußen erleiden.

In vielen „Entwicklungsländern“ (so werden von der UNO insgesamt 132 arme und Schwellenländer offiziell bezeichnet) kommt ein weiteres Problem hinzu: Hier müssen arme Menschen selbst bei Ansteckungsverdacht arbeiten gehen, weil es keine sozialen Sicherungssysteme gibt, die quarantänebedingte Einkommensverluste ausgleichen würden. Eine im Juli 2020 veröffentlichte Studie im Auftrag des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Develpoment Programme – UNDP) schlägt daher ein zeitlich befristetes Grundeinkommen vor. Ein solches „temporary basic income (TBI)“ solle Menschen zugutekommen, die am Rande des physischen Existenzminimums leben. Zugleich müsse es insoweit „bedingungslos“ sein, als von den Betroffenen keine besonderen Mitwirkungspflichten (z. B. Arbeitsuche) verlangt werden. mehr

Es ist höchste Zeit für eine ernsthafte Debatte über die Einführung des Grundeinkommens! Bonn/Berlin Mai 2020

Von Dagmar Paternoga, Ronald Blachke, Werner Rätz, Franz Segbers

Es scheint, als wenn wir mit dem entsprechenden Aufruf grundeinkommen-es-ist-zeit den Nerv der Zeit getroffen hätten. Innerhalb von einigen Tagen haben mehrere Dutzend prominente Unterstützer*innen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und verschiedener Zugänge zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) unseren Aufruf unterzeichnet. Zuvor hatten in Deutschland fast eine Million Menschen diverse Petitionen für die Einführung bedingungsloser Zahlungen unterzeichnet. Selbst wenn man davon ausgeht, dass einige mehrere der vorliegenden Petitionen unterschrieben haben, bleibt das eine beeindruckende Zahl.

Die Forderungen der einzelnen Petent*innen sind recht unterschiedlich, einige wollen lediglich eine Notfallzahlung an besonders von der Krise Betroffene, andere zielen auf ein vollumfängliches Grundeinkommen gemäß der breit akzeptierten Definition, dass die Zahlung unabhängig von Erwerbsstatus und Einkommen an alle, ohne Gegenleistung und in einer Höhe, die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe sichert, erfolgen soll. Die Zahl der Unterstützer*innen, aber auch die Personen, die Petitionen verfasst haben, zeigen, dass die Forderung weit über die herkömmliche Grundeinkommensszene hinaus Zustimmung findet. Eine der Petentinnen, die unabhängige Modedesignerin Tonia Merz, argumentiert, es werde von „Billionenkrediten für die Wirtschaft“ gesprochen, Deutschland sei also ein reiches Land, das sich so etwas leisten könne. Was es aber auch brauche, seien „Menschen, die weiterhin Geld ausgeben“.

Das scheint mitten in der Krise vielen einzuleuchten. Auch wir haben beim Werben um Unterstützung für unsere Initiative nur sehr selten Stimmen gehört, die meinen, die extrem hohen Ausgaben für direkte wirtschaftliche Stützungsmaßnahmen würden die Finanzierung eines BGE im Gegenteil schwerer machen. Das wäre durchaus auch wirtschaftswissenschaftlich zu begründen. Ökonom*innen der Modern Monetary Theory argumentieren im Kern, dass es den Zentralbanken möglich sei, Staaten praktisch unbegrenzt mit Geld zu versorgen, ohne dass daraus Schuldenprobleme entständen. Zumindest einige interpretierten schon die Aufkäufe von Unternehmenspapieren durch EZB und Fed so, dass auch die Unternehmen unbegrenzt mit Geld versorgt werden könnten. Sie dürften sich durch die aktuellen und für die nahe Zukunft diskutierten massiven Krisenhilfen auch für Großkonzerne darin bestätigt sehen. Man muss der genannten ökonomischen Theorie keineswegs folgen. Aber man kann fragen, ob die direkten Hilfszahlung an Individuen, wie Einmalzahlungen an kleine und Soloselbstständigenicht als Hinweis darauf verstanden werden könnten, dass eine solche Ausstattung mit Geld auch für Individuen möglich wäre. mehr