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EU-weiten Druck aufbauen von Werner Rätz

Die Bedeutung der Europäischen Bürgerinitiative bedingungslose Grundeinkommen sollte nicht unterschätzt werden

Eine Woche läuft die EBI Grundeinkommen nun genau und die Ergebnisse sind nicht wirklich überzeugend. Gut 25 000 Unterschriften ergäben zwar, wenn man sie mit 52 (Wochen) multipliziert, 1,3 Millionen und damit einen Erfolg, aber ob eine solche einfache Hochrechnung dem zu erwartenden Szenario entspricht, darf bezweifelt werden. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass diverse Petitionen, die im März, zwar übergangsweise oder nur für einzelne Bevölkerungsgruppen, aber doch eine bedingungslose Zahlung forderten, alleine in Deutschland in wenigen Wochen weit über eine halbe Millionen Mitzeichner*innen fanden, dann relativiert sich die Zahl bei der EBI schon deutlich. Noch bescheidener macht sie sich aus, wenn man sie mit der über eine Million Bewerbungen vergleicht, die innerhalb einer Woche für die 120 Grundeinkommen eingingen, die man im Forschungsprojekt von Mein Grundeinkommen und DIW erhalten kann.

Na ja, sagen einige meiner Freund*innen, so funktioniert der Mensch halt, er spielt auch Lotto, obwohl er weiß, dass er nichts gewinnen wird. Es wäre aber immerhin möglich. Mag sein, dass das ein Motiv ist, dass es bei der EBI nichts zu gewinnen gibt. Wobei, so sicher ist das bei politischen Fragen ja nie. Die Chance, dass Engagement sich auszahlt, ist gewiss ebenso hoch wie die auf einen Hauptgewinn im Lotto. Insbesondere die EBI eröffnet hier eine interessante Perspektive.

Sozial-, Wirtschafts- und Handelspolitik bilden einen engen Zusammenhang und von dessen Gestaltung hängt die soziale Lage der allermeisten Menschen ab. Wer ein gutes Leben für alle will, muss gewiss auch noch andere Politikfelder beackern, aber wenn es nicht gelingt, den hier abgesteckten Bereich im Sinne umfassender sozialer Sicherung zu gestalten, dann sind die Aussichten schlecht. Nun ist Sozialpolitik in der Europäischen Union Sache der Mitgliedsstaaten, für die Wirtschaftspolitik ist die EU teilweise, für die Handelspolitik vollständig zuständig. Daraus ergibt sich, dass letzterer Bereich immer weiter vergemeinschaftet wird und daraus ein Sog hin zu neoliberalen Regulierungen entsteht. Als Folge daraus geraten die nationalen Sozialpolitiken immer weiter in Konkurrenzdruck, weil ihre umfassende Ausgestaltung als handelspolitischer Nachteil in der Standortkonkurrenz wahrgenommen wird. Einzelne, erst recht kleine EU-Mitgliedsstaaten können sich aus dieser Falle nicht befreien.

Auch die handelnden Akteure sind entsprechend aufgestellt. Die auf die globale Konkurrenz orientierten sind europäisch organisiert und unterhalten in Brüssel gewaltige Lobbyabteilungen; die in der, notwendig nationalen, Sozialpolitik engagierten haben in der EU kaum eine Stimme. Diese Situation zu verändern wäre mehr als dringend. Man kann selbstverständlich so diskutieren, dass diese EU, so wie sie sich heute darstellt, keine Chancen für fortschrittliche Politik zulässt. Für diese Sicht spricht vieles. Im Vertrag über die Europäische Union, auf den sich jede EBI ausdrücklich beziehen muss, ist die neoliberale, wettbewerbliche Verfassung der EU festgeschrieben. Das ist ein Problem, das schwer wiegt.

Gleichzeitig finden genau in dieser EU die Weichenstellungen für die nähere und fernere Zukunft statt. Was ein Austritt gerade auch an sozialpolitischen Rückschlägen mit sich bringen könnte, kann man gerade in Großbritannien beobachten. Was die völliger Zerstörung eines übernationalen Gebildes an Chaos verursachen kann, konnte man am den Beispielen Sowjetunion und Jugoslawien studieren. Wer solche Risiken nicht eingehen will, trotzdem aber eine sozial zukunftsfähige Gesellschaft gestalten möchte, hat keine Alternative dazu, auf EU-Ebene Druck für andere Regulierungen aufzubauen.

Es gibt bisher kaum Strukturen, mit und in denen sich auf EU-Ebene fortschrittliche, sozialpolitische Akteure verbindlich koordinieren können. Der Europäische Gewerkschaftsbund und andere sind rein informelle Zusammenschlüsse, die weder intern noch innerhalb der EU Verbindliches beschließen oder durchsetzen können. Es gibt keine Europäischen Tarifverhandlungen oder gar -verträge, keine gesamteuropäisch zugelassenen Gewerkschaften, kein europäisches Streikrecht, kein europäisches Verbraucherklagerecht, ja sogar so gut wie keine  europäischen Kampagnen für so etwas.

Ein Instrument, das all das befördern könnte, die Europäischen Bürgerinitiative, ist allerdings als eines der wenigen dafür strukturell schon vorhandenen. Es ist gewiss unzureichend und schwach, es bedarf zusätzlicher entschlossener Aktivitäten, gesamteuropäischer, auch über die EU hinausgehender Aktivitäten, aber die EBI ist eine Möglichkeit, sich EU-weit Gehör zu verschaffen. Und das kann gelingen, wie mehre EBIs bisher gezeigt haben.

Dann muss man das aber auch tun. Dann muss man nicht irgendwie ganz knapp das Ziel erreichen, sondern zeigen, dass das angesprochene Anliegen wirklich drängt, dass es den Menschen auf der Seele brennt. Dann muss man nicht nur selbst unterzeichnen, jetzt!, nicht irgendwann!, dann muss man auch sein Facebookprofil entsprechend ausrichten, seinen Twitteraccount bedienen, alle seine privaten Kontakte im Mailverzeichnis anschreiben!

Nein, es ist nicht egal, ob ihr das heute oder morgen tut. Es geht heute darum, morgen so viele weitere Menschen mitzunehmen, wie wir nur können, damit die morgen ihrerseits wieder so viele gewinnen, dass die EU-Kommission im September 2021 unser Anliegen zwar ablehnen wird, aber wegen der Masse an Unterschriften nicht für irrelevant erklären kann.